KI wird den Menschen helfen

Künstliche Intelligenz (KI) ist im medizinischen Alltag angekommen: Sie hilft bei der Früherkennung von Krankheiten, unterstützt Roboter bei Operationen und erleichtert Diagnosen. Dr. Gottfried Ludewig, der Leiter des globalen Health-Bereichs der Telekom-Tochter T-Systems, ordnet im Gastbeitrag die Entwicklungen ein.

KI ist für das Gesundheitswesen eine Riesenchance. Wie wichtig die Technologie ist, hat auch der "Artificial Intelligence Action Summit" in Paris gezeigt, auf dem Mitte Februar "InvestAI" ins Leben gerufen wurde. Damit sollen in Europa 200 Milliarden Euro für Investitionen in KI mobilisiert werden. Dabei spielt auch KI im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle. KI werde unsere Gesundheitsversorgung verbessern, unsere Forschung und Innovation ankurbeln und unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern, sagte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen.

Keine KI ohne passende Infrastrukturen

Wenn wir über den Tellerrand blicken, zeigt sich, dass diese Entwicklungen in Europa eher schneller als langsamer gehen müssen. Wenn wir sehen, dass die neue US-Regierung mit 500 Milliarden US-Dollar den Aufbau von KI-Infrastrukturen unterstützt. In Deutschland dagegen baut jedes Forschungsprojekt mit Fördermitteln
sein eigenes "Infrastruktürchen" auf. Das ist wissenschaftlich nicht zielführend, und das können wir uns auch finanziell nicht mehr leisten. Hier müssten die zuständigen Ministerien Hand in Hand gehen. Das heißt nicht, dass wir alles mit einer einzigen Infrastruktur machen sollten. Aber die Infrastrukturen für
Forschung und Versorgung müssen miteinander kompatibel sein. Wir müssen größer denken, das Klein-Klein von Infrastrukturen beenden und alle Kräfte bündeln, um schneller zu Erkenntnissen zu kommen und die Daten besser nutzen zu können. Denn KI kann nicht mit proprietärer Infrastruktur aus den 1990er Jahren in den
Kellern unseres Gesundheitswesen funktionieren. Und keiner in dieser Welt wartet auf uns.

Mehr Zeit für Menschen

Es gibt aber oft die Sorge, dass der Einsatz von KI die emotionale Beziehung zwischen Patientinnen und Patienten und Pflegepersonal oder Ärzteschaft beeinträchtigen könnte. Allerdings verbringt das Fachpersonal derzeit etwa 30 Prozent der Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben. Durch den Einsatz von KI wird dieser Aufwand reduziert, was mehr Zeit für den menschlichen Kontakt schafft. Ein Beispiel ist die Vermessung von Wunden, eine normalerweise zeitaufwendige, fehleranfällige und schmerzhafte Prozedur für Patientinnen und Patienten. Mithilfe eines iPads wird ein Foto der Wunde gemacht. Das Programm übernimmt die Dokumentation automatisch. Die gesparte Zeit kann auch dafür genutzt werden, mit den zu Pflegenden ein persönliches Wort auszutauschen. Gerade dieser zwischenmenschliche Kontakt ist von immenser Bedeutung. Ein weiteres Anwendungsszenario sind Operationen. Wo maximale Präzision über einen längeren Zeitraum gefragt ist, hat die Technik den Vorteil, dass sie nicht wie Menschen ermüdet.

Qualität erhöhen

Generell stehen alle Player im Gesundheitssystem wie viele Branchen unter enormen Druck. KI bietet die einmalige Möglichkeit, die Qualität der Versorgung zu verbessern und dabei auch die Kosten zu senken. Eine Hürde ist, dass viele Beteiligte Investitionen nicht stemmen können. Und dass, obwohl laut Studien des Branchenverbandes BITKOM über 80 Prozent der Menschen in Deutschland den Einsatz von KI im Gesundheitssystem befürworten. Beispiel Krankenhäuser: Die Bereitschaft, in die notwendige technologische Basis wie Datenintegration, Datenqualität und Digitalisierung zu investieren, ist gering. Dabei hilft KI, Prozesse zu verbessern, Zeit zu sparen und dem allgegenwertigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist der von T-Systems entwickelte Magenta Smart Chat, der unter anderem die Aufnahme in ein Krankenhaus vereinfacht. Die Lösung hilft, die Patientenvorgeschichte zu verstehen und mit verfügbaren Daten zu verbinden, um Menschen schneller behandeln zu können. Das beschleunigt den Prozess und entlastet die Mitarbeitenden zum Beispiel bei Verwaltungsarbeiten. Statt zeitintensiv mehrere Seiten Anamnese-Bögen zu entziffern und ins Krankenhausinformationssystem einzupflegen, liegen die Daten digital vor. Das reduziert die Fehlerquote und ermöglicht der KI zum Beispiel einen Datenabgleich in Echtzeit.

Zudem gibt es keine Sprachbarrieren mehr. Menschen, die zum Beispiel mit einem kranken Kind in die Klinik kommen, aufgeregt sind, und nicht oder nicht gut Deutsch sprechen, können sich unter Umständen nicht verständigen. Dabei hilft die KI durch passende Übersetzung. Der Magenta Smart Chat kann zudem beim Ausfüllen von Mitgliedschaftsanträgen für Krankenkassen oder bei Anamnese und Arztbriefen unterstützen. Die Beispiele zeigen dabei nur minimale erste Schritte, aber Schritte, die bereits heute einen Unterschied im klinischen Alltag machen.

Diagnostik wird besser

Auch bei der Diagnostik unterstützt die KI. Wir treiben zum Beispiel mit einem Partner die Entwicklung der Prostatakrebstherapie voran. Anomalien können schneller erkannt werden, so dass Ärztinnen und Ärzte wissen, wo sie genauer hinschauen müssen. Das dauert mit KI statt 20 nur noch fünf Minuten. Die Sorge vor Falschdiagnosen ist nachvollziehbar, aber am Ende muss die Ärzteschaft die Entscheidungen treffen. Die Leistungsfähigkeit der KI belegt auch ein Vergleichstest am Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) in Boston. Bei dem Test hat ChatGPT bei der Diagnose von Krankheiten bessere Punktzahlen erreicht als gut ausgebildetes medizinisches Personal. Eine Kombination aus menschlichem Urteilsvermögen und KI-Analyse wird zu genaueren Diagnosen führen. Damit diese Entwicklung akzeptiert wird, ist es zwingend notwendig, dass wir die Nachvollziehbarkeit der durch die KI bereitgestellten Informationen sicherstellen und einfordern. Nur dann wird KI auch positiv gesehen.

KI ermöglicht personalisierte Medizin

KI ermöglicht zudem personalisierte Medizin, die unter anderem bei Krebstherapien eine immer wichtigere Rolle spielt. Dank KI können Lebensumstände, genetische Vorprägung und Erkrankungshistorie besser als in der Vergangenheit berücksichtigen werden. Das optimiert die Behandlungsempfehlungen und ermöglicht gezieltere Therapien. Laut Bundesministerium für Forschung und Bildung werden beispielsweise Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, nur dann mit dem Wirkstoff Herceptin behandelt, wenn die Tumore ein bestimmtes genetisches Merkmal aufweisen. Bei Tumoren ohne dieses Merkmal wirkt Herceptin nicht, allerdings treten dann häufig trotzdem Nebenwirkungen auf. Nur ein Beispiel der positiven Potenziale im Zusammenwirken von KI und Genomsequenzierung.

"Must Have": elektronische Patientenakte

Die Einführung der elektronischen Patientenakte in Deutschland ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie kann die Grundlage für eine umfassende Nutzung von KI im Gesundheitswesen bilden. Doch auch hier sind Investitionen in die Datensicherheit und -souveränität entscheidend, um das Vertrauen der Patientinnen und
Patienten zu gewinnen und ihre sensiblen Informationen zu schützen.

Chancen nutzen

KI hat das Potenzial, das deutsche Gesundheitswesen und damit auch den Pflegebereich erheblich zu verbessern. Sie kann Pflegekräfte entlasten, die Effizienz steigern und die Qualität der Patientenversorgung erhöhen. Doch um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, müssen wir bereit sein, in die notwendige technologische Infrastruktur zu investieren und gleichzeitig die Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit ernst zu nehmen. Der KI-Gipfel in Paris hat gezeigt, dass wir nicht allein auf diesem Weg sind. Es gibt eine globale Bewegung hin zu mehr KI im Gesundheitswesen. Deutschland muss diese Chance ergreifen und ein Gesundheitssystem der Zukunft schaffen, das sowohl technologisch fortschrittlich als auch menschlich bleibt. Eine Zukunft, in der Pflegekräfte mehr Zeit haben, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt: den Menschen. Die Integration von KI in die Pflege ist mehr ist als nur eine technologische Spielerei. Sie ist ein notwendiger Schritt, um den Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, Kostendruck und Fachkräftemangel entgegenzusteuern. Es liegt an Beteiligten, diese Chance zu nutzen.

 

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